Wenn die Sonne im Westen aufgeht

Gegen eine bloß metaphorische Deutung heiliger Texte. Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete, daß der Gesandte Allahs, Allâhs Segen und Frieden auf ihm gesagt habe: »Es wird mit der Stunde nicht soweit sein, bis die Sonne im Westen aufgeht. Und wenn sie von dort aufgeht, und die Menschen sie sehen, werden sie allesamt gläubig sein. Hier dann wird niemandem sein diesbezüglicher Glaube etwas nützen, wenn er nicht vorher geglaubt und sich auf Grund dieses Glaubens etwas Gutes erworben hatte. Und es wird mit der Stunde dann soweit sein, wenn sich zwei Menschen gegenseitig ihre Oberkleidungen zum Verkauf anbieten und weder der eine von dem anderen etwas kauft, noch sie diese zusammenlegen. Und es wird mit der Stunde dann soweit sein, wenn ein Mensch mit der Milch seiner Kamelstute hinausgeht und keinen mehr findet, dem er diese zu trinken geben könnte. Und es wird mit der Stunde dann soweit sein, wenn jemand sein Wasserbecken mit dem Mörtel abdichtet, und niemand mehr kommt, der darin tränkt. Und es wird mit der Stunde dann soweit sein, wenn einer von euch seine Nahrung bis zu seinem Mund hochhebt und diese nicht mehr essen kann.« (Sahîh al-Bukhârî, Nr. 6505, zit. nach Ausg. der Islamischen Bibliothek M. Rassouls, Köln 1996, S. 653) Dieser Hadith wir häufig so verstanden, daß mit der »Sonne«, die im Westen aufgeht, die Sonne des Islam gemeint sei, der sich in den Ländern des Westens verbreite, bevor das Ende der Welt naht. – Diese Deutung scheint einem Schema zu folgen, das wir auch im Abendland in der Theologie, beispielsweise unter dem Titel einer »Entmythologisierung« (Bultmann), kennen. Und es besteht und bestand in allen Religionen seit je eine Verführung dazu, einem Ungeheuerlichen, einem Ereignis, das unsere gewohnte Erfahrung deutlich überschreitet, seinen Schrecken oder seinen provokativen Charakter dadurch zu nehmen, daß wir es zur Metapher erklären und behaupten, es sei ja nur ein Bild: Hier die Sonne, sie sei nur ein Bild für den Glauben des islam, der im Westen erstarke. Der wahre Grund für die metaphorische Umdeutung heiliger Texte ist eine erbärmliche Schwäche unseres Glaubens und unser Unvermögen, etwas allein deshalb zu akzeptieren, weil es uns vom Herrn der Welten, vom Schöpfer selbst, geoffenbart wurde. Wir fliehen zur Metapher, weil wir schwach im Glauben sind. Doch was gerade die Sonne betrifft, die im Westen aufgehen soll, so reicht es in diesem Falle einmal aus, wenn wir uns, diesseits der Frage des Glaubens, allein im Bereich des Wissens aufhalten. Denn aus neueren Forschungen zur Erdgeschichte wissen wir: »Tatsächlich versichern die Priester Ägyptens, daß in historischer Zeit, seit Ägypten ein Königreich war, die Sonne „… viermal entgegengesetzt wie gewöhnlich aufgegangen sei: Zweimal ging sie auf, wo sie jetzt untergeht, und zweimal ging sie unter, wo sie jetzt aufgeht” (7). Der Papyrus Harris spricht von einem kosmischen Aufruhr, bei dem Süden zum Norden wird und die Erde sich vornüber neigt. Der Papyrus Ipuver berichtet, daß das Land sich um und um drehe wie eine Töpferscheibe und die Erde vornüber stürze. Im Grabe Senmuts, des Baumeisters der Königin Hatschepsuts, zeigt ein Feld der Decke die Himmelskugel in umgekehrter Ausrichtung des südlichen Himmels. Ähnliche Berichte finden sich in Platons Politeia, Euripides’ Elektra, bei Seneca, den Pythagoräern, den Mexikanern, den Eskimos, im Talmud und vielen anderen Schriften. Auch spricht der Koran von Gott als dem „Herrn der beiden Osten und der beiden Westen” (8). Das Kalevala-Epos berichtet, daß „die Sonne gelegentlich ihre Bahn verließ” (9), und die Azteken erzählen: „Viele Jahre hatte es keine Sonne gegeben… Die Häuptlinge begannen, durch die Trübe auf allen Seiten nach dem erwarteten Licht auszuspähen und Wetten abzuschließen, an welchem Teil des Himmels sie zuerst auftauchen werde. Einige sagten ,hier’ und andere sagten ,dort’; aber als die Sonne dann aufging, zeigte sich, daß alle falsch geraten hatten, denn keiner hatte auf den Osten gesetzt.10« [vgl hier] Dazu empfehle ich die Lektüre jener heißen Geschichte, die zugleich eine Kriminalgeschichte unseres Wissens ist: Der Tag an dem die Sonne stillstand, und warum wir ihn vergessen haben
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