Warum wir den König lieben

Warum wir den König lieben

Ein familieninternes Streitgespräch – vgl. auch hier – über die schönste Verfassung und den König in jedem Mann Grafik   Wir überqueren die Grenze nach Jordanien. Und waren wir seit der Abfahrt von Medina alle ziemlich aufgedreht gewesen, so kommt mit einem Mal eine himmlische Ruhe, Leichtigkeit und Heiterkeit auf uns herab. Die Hektik Saudiarabiens oder wessen auch immer ist wie verflogen, und eine staubige, gelegentlich rötliche Wüste mit Geröll zieht unter gedämpftem Blick dahin: Was macht einen Ort zu einem schweren oder leichten? Sind es die Jinnen, die Geister? Was ist es, dem sich der Segen eines Landes, seine Fröhlichkeit, verdankt? Sheikh Salîm meint, es liege ein Segen auf dem Land, weil Jordanien ein Königreich ist, und zwar das eines Königs, der nicht durch Mord und Totschlag an die Macht gekommen ist wie fast alle anderen in Arabien, sondern in einer langen und ehrbaren Tradition steht. Segen läge in der Monarchie, wenn der König seinem Land in einer Weise vorsteht wie der Vater seiner Familie, die er liebt, und ein jeder Mann das Recht hat, persönlich mit dem König zu sprechen. Für ihn, so Salîm, gäbe es keine beruhigendere Verfassung als die des Königtums eines gottesfürchtigen Königs. „Jetzt das wieder“, dachte ich, „eine der Lieblingsideen des Mannes“: „Woher weißt du denn“, frage ich, „daß unter solchen Bedingungen nicht jederzeit ein Tyrann, ein blutvergießender Despot auftreten kann?“ – Das sollte er doch erst einmal erklären, bevor er vom Paradiese schwärmt! „Ein blutvergießender Tyrann ist sicher für ein Land ein großes Unglück“, gesteht Salim zu, „wie ein gerechter König ein großer Segen für ein Land ist.“ Doch könne man in diesem Falle we-nigstens noch zwischen gut und böse unterscheiden, könne man wenigstens das Böse noch sehen, das sich im Grau der Parteienwirtschaft parlamentarischer Demokratien längst fast unsichtbar gemacht hätte. Vielleicht aber sei man dort jetzt sogar nicht einmal mehr des Bösen fähig, weil man gar nichts mehr schafft, sondern sich in verschiedenen Interessensgruppen nur gegenseitig so blockiert, daß überhaupt keine Entscheidung mehr stattfindet. Es sei das Chaos. „Ich finde“, unterbrach ich ihn, „bei uns aber alles sehr schön geordnet. Es gibt ja Gesetze, und es herrscht eine bestimmte Sicherheit.“ – Ein Königreich aber, das wäre doch völlig unrealistisch. „Willst du wirklich“, und Triumph mußte meine Lippen umspielt haben, „den Segen der parlamentarischen Demokratie preisgeben, die bürgerlichen Freiheiten, die Rechtssicherheit?“ Ich blickte bedeutungsvoll in die Runde. Und während einige Blicke sich senkten, fragte ein strahlender Salim, woran es denn liege, daß das Herz kalt bleibt – „als Kind warst du enttäuscht“ –, wenn in einem Märchen kein König vorkommt, „kein Sultan oder Wesir.“ Und er gab selbst die Antwort: In einem Königtum gebe es noch Ehre und Respekt, klare Verantwortlichkeit, Mut. „So bedrohlich“, Salim sah mich an, „wie die Möglichkeit des Tyrannen auch empfunden werden kann, mit ihm ist leider auch eines der herrlichsten Dingen verschwunden, die es früher gegeben hat: der Mannesmut nämlich vor Tyran-nenthron!“ Bei uns sei heute alles nur eine Frage geschickter Bündnisse. „Und die freiheitlich Demokratische Grundordnung Almaniens und der ganzen westlichen Welt, soll die nun nichts mehr gelten?“, warf ich ein und erinnerte: „Kann ein Muslim in irgendeinem Land der Welt denn freier seinen Glauben leben als in einem westlichen! Und hat unter den Staatsphilosophen nicht schon der altehrwürdige Eflaton, wie Platon auf Arabisch heißt, die Demokratie vor anderen Regierungsformen ausdrücklich gelobt?“ „ Ja“, wiegelte Salim ab, „aber als die relativ beste der insgesamt schlechten. Und was ist mit dem Schierlingsbecher, dem Gift, das Sokrates hat trinken sollen und aus Achtung vor dem Gesetz auch getrunken hat? War jenes Urteil nicht ein deutlicher Ausdruck, fataler Anfang einer fragwürdigen Sache? Und bestimmt hat später einige der Athener die Reue gepackt, und sie werden erkannt haben, daß eine Abstimmung oder eine Wahl doch ganz etwas anderes ist, als wirklich eine Entscheidung zu fällen. – Das Volk soll herrschen? Regieren, das Volk? Nein, dem Volk kommt es zu, regiert zu werden.“ Und es könne gut sein, daß sich die sogenannte Herrschaft des Volkes eines Tages als einer der größten Irrtümer abendländischer Geschichte herausstellt, als ein fatales, ja ein wesentlich verderbtes Idol. Salîm geriet richtig in Fahrt und meinte, jeder Segler wüßte, daß man nur auf eine Stimme hören kann. Da gelte es, dem Kapitän zu gehorchen. Und das sogar dann, wenn der sich irrte. Denn wenn man ihm nicht folgt, bricht das totale Chaos aus, capsizing, „Dämonkratie“, wie er genüßlich buchstabierte, Herrschaft des Dämons, Kampf aller gegen alle, Demokratie, bloß ritualisierte Form des „homo homini lupus“ zur Durchsetzung egoistischer Interessen! Wer trägt dort wirklich Verantwortung? Wem liegt wirklich das Wohl des ganzen Landes am Herzen? Den pressure-groups, den Lobbyisten, den Parteien? Und zur Legitimierungsfrage, meint unser Philosoph, ein Tyrann, vielleicht eine Strafe Gottes, sei einem Land immer noch förderlicher als das emphatisch zelebrierte Chaos demokratischer Selbstfesselung. Dem liege wirklich etwas an seinem Land. „So kann nur einer reden“, unterbrach ich, „der in einem demokratischen Land lebt. Unter einem schlechten König, einem Diktator, preisen die Menschen wohl eben das Gegenteil: die Demokratie. Ich möchte gerne wissen, was denn unser Prophet, der Friede sei auf ihm, zu solchen Fragen gesagt hat.“ Ein Bruder erinnerte sich an eine Rede Sheikh Fariduddîns, wonach der Prophet, der Friede sei auf ihm und seiner Familie und Segen, mit Blick auf die Entwicklung der Staatsformen einmal gesagt habe: „Zuerst werden die rechtgeleiteten Khalifen kommen, dann die Könige, dann die Tyrannen, dann wird heilloses Durcheinander sein.“ Salim war ganz begeistert: „Ja genau! – Das ist genau die Zeit, in der wir jetzt leben. Man sitzt im Auto Demokratie und stimmt an jeder Kreuzung darüber ab, in welche Richtung man fährt. Und statt eines Fahrers streiten sich gleich mehrere um das Lenkrad, und besonders um das Gaspedal. Auf der Bremse hängen gleich mehrere Gruppen, bei der Kupplung dasselbe, die Blinker werden von anderen verwaltet. Das Bild ist beliebig erweiterbar. Wer soll für den Gebrauch der Hupe verantwortlich sein, wer für die Fensterheber? – Wer im Märchen in Not ist, geht zum König und bittet um seine Hilfe. Wer in der harten demokratischen Wirklichkeit in Not ist, wohin soll der sich wenden? Jeder glaubt, er sei für alles zuständig, und fühlt sich dabei, was nur die andere Seite desselben ist, für nichts verantwortlich. Wie erquickend dagegen ein gerechter König, wie erquickend dagegen sogar ein Tyrann.“ Bevor ich einer solch kämpferischen Rede gegenüber meine letzten Verteidigungsreserven mobilisieren konnte, gab Salîm dem ganzen noch eine überraschende Wendung. „Und außerdem“ meinte er mit einem fröhlichen Blick auf mich, „welche Frau möchte nicht gerne an der Seite eines Königs sitzen oder von ihrem Mann wie eine Königin behandelt werden.“ Ja, das leuchtete schon ein. „Und einige Muslime behandeln ihre Frauen wie Königinnen, schon aus Klugheit. Denn das ist ihre einzige Chance, zu Hause entsprechend auch wie Könige behandelt zu werden!“ – Während der Bus zu einer Pause in den Weg zu einer Rastanlage einschwenke, wird mir klar: Nicht nur gibt es das Kind im Manne, sondern in jedem auch einen kleinen König!
aus: Hagar Spohr, Die Reise nach Mekka . Eine deutsche Frau erzählt von ihrer Pilgerfahrt ins Herz des Islam. Zum Verständnis von Demokratie und Monarchie siehe auch: Dämonkratie – Niemand entscheidet   Fotos Rothermel
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